Was ist PAS?
PAS steht für Parental Alienation Syndrome, zu Deutsch: Eltern-Kind-Entfremdung. Ein Phänomen, das viele getrennte Eltern bei ihren Kindern erleben, die überwiegend vom anderen Elternteil betreut werden.
Aussagen wie "Ich wünschte, du wärst tot, dann hätte ich meine Ruhe", "Du bist ein Dreckskerl/Drecksstück!", "Du bist gar nicht mein Vater/meine Mutter" sind nur einige Beispiele für Aussagen, die auf PAS hindeuten können.
Oft klingen diese Sätze wie nachgesprochen, sie
werden selbst von Kleinkindern in der Erwachsenensprache formuliert.
Insbesondere die Beleidigungen klingen erwachsen - und das sind sie in
der Regel auch, denn die Kinder wiederholen damit nur die Aussagen, die
sie vom betreuenden Elternteil hören oder im Umfeld des betreuenden
Elternteils wahrnehmen.
PAS wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als eine Form der seelischen Misshandlung
anerkannt und stellt eine Gefährdung und Schädigung des Kindeswohls dar, die mit
unabsehbaren Langzeitfolgen für die psychische Verfassung des Kindes in
der Zukunft einhergeht. PAS muss und soll deshalb genauso ernst genommen
werden, wie alle anderen Formen der Kindeswohlgefährdung.
Die
Leidtragenden des PAS sind in erster Linie die Kinder. Doch auch viele
betroffene (nicht betreuende) Elternteile leiden stark unter der
Entfremdung ihrer Kinder und können als Folge seelische/emotionale
Beschwerden ausbilden. Dieser Entwicklung gilt es entgegenzuwirken -
auch an diese Elternteile richtet sich mein Sprechstundenangebot.
Entstehung und Auswirkung auf das Kind.
PAS
entsteht, wenn ein Kind vom betreuenden Elternteil (unabhängig davon,
ob es sich um Mutter oder Vater handelt) bewusst oder unterbewusst,
verbal oder nonverbal in einen starken Loyalitätskonflikt getrieben
wird. Der betreuende Elternteil steuert die Vorgänge aktiv und/oder
passiv, indem es z. B. den Umgang mit dem anderen Elternteil sabotiert
oder gar boykottiert und/oder widersprüchliche Botschaften an das Kind
versendet, um das Kind zu manipulieren, damit es sich "ganz von selbst"
gegen den anderen Elternteil auflehnt.
Diese Botschaften können durch
Worte aber auch allein durch den Tonfall, die Körperhaltung, die Mimik,
Gestik oder das übrige Verhalten des Elternteils vermittelt werden. Wenn
ein Elternteil beispielsweise sagt: "Viel Spaß beim Mama/Papa" - doch
dabei mit Tränen in den Augen zur Seite schaut oder schluchzend das Kind
kramphaft an sich drückt - handelt es sich um eine typische
Doppelbotschaft (sog. Double Bind). Diese dient dazu, das Kind zu manipulieren und in ihm Schuldgefühle hervorzurufen. Die wahre Botschaft
dahinter ist: "Ich sage zwar: Viel Spaß, aber du siehst ja selbst, wie
traurig und einsam ich bin. Wenn du mich liebst, dann gehst du nicht".
Insgesamt gibt es nach aktuellen Erkenntnisen 17 Entfremdungsstrategien, die detailliert von der Entwicklungspsychologin Dr. Amy Baker beschrieben wurden.
Botschaften
dieser Art können gezielt und bewusst aber auch unterbewusst gesendet
werden - dabei kommt es in der Regel auf die psychische Verfassung des
manipulierenden Elternteils an. So oder so hinterlassen diese doppelten
Botschaften eine tiefe Verunsicherung und Schuldgefühle beim betroffenen
Kind und richten seelische Schäden an, die nicht nur im Hier und Jetzt
verheerend sein können, sondern auch in der Zukunft eine Auswirkung
auf das Verhalten des späteren Erwachsenen haben können. Zum Beispiel
kann dies die Art beeinflussen, wie und mit wem das erwachsene Kind
seine (Liebes-)Beziehungen eingeht, wie es Liebe definiert, und wie es
den zwischenmenschlichen Umgang im Laufe seines Lebens gestaltet.
Der PAS-Check.
Dr. Walter Andritzky beschreibt in seinem Artikel im Deutschen Ärzteblatt (Ausgabe Februar 2003, Seite 81), folgende, einfach erkennbare PAS-Symptome im Verhalten des Kindes und des manipulierenden Elternteils:
"-
Es werden Meinungen und wörtliche Formulierungen vom betreuenden
Elternteil übernommen, die dessen Haltung zum anderen charakterisieren.
Das Gesagte wird in nicht kindgerechter Sprache („Er hat einen
Machtkomplex.“) und gekünstelter Stimmlage vorgebracht. Es werden neue
Ablehnungsgründe „hinzuerfunden“, das Kind wirkt beim Gespräch motorisch
unruhig und gespannt.
- Nicht nur der andere Elternteil, sondern
dessen gesamtes soziales und familiäres Umfeld wird in die Ablehnung
miteinbezogen, zum Beispiel früher geliebte Großeltern und Freunde.
- Das Kind „spaltet“: Der betreuende Elternteil ist nur „gut“, der
andere nur „schlecht“, die natürliche Ambivalenz fehlt. Das Kind
ergreift reflexhaft für den Betreuer Partei.
- Das Kind betont auffällig, dass alles, was es sage, sein eigener Wille sei („Ich will das.“).
Wenn der Entfremdungsprozess fortgeschritten und sich der betreuende
Elternteil sicher ist, dass das Kind keinen Wunsch nach Kontakt zum
anderen mehr äußert, betont er oft: „Ich wäre der/die Letzte, die etwas
gegen Besuche hat, aber das Kind will nicht.“
Ein weiteres Indiz
für ein Entfremdungssyndrom ist, dass der betreuende Elternteil den
anderen abwertet und den Gesprächspartner in eine Allianz gegen diesen
einzubinden versucht. Gleichzeitig werden Diskurs und
Vermittlungsbemühungen, die seine Person und Rolle im Trennungsprozess
betreffen, jedoch ablehnt."
"Weil du mir gehörst!" - Manipulation als elterliche Überlebensstrategie.
Bei
Elternteilen, die sich manipulativ verhalten, kann eine durch den
Trennungsprozess aktivierte Borderline-Problematik vorliegen, die auch
mit weiteren psychischen Komorbiditäten verbunden sein kann (z. B. mit
der Bulimie) und ihren Ursprung häufig in der Kindheit dieser Personen
hat. Viele manipulierende Eltern haben in ihrer eigenen Kindheit selbst
traumatische Ereignisse erlebt: süchtige/psychisch erkrankte Eltern,
sexuellen Missbrauch, Vernachlässigung, Gewalt etc. Die Trennung vom
Partner/in im Hier und Jetzt lässt die Vergangenheit und die kindlichen Traumata aufleben. Der Elternteil fühlt sich überfordert mit der
gegenwärtigen Situation und mit seiner/ihrer nicht aufgearbeiteten
Vergangenheit.
Das
eigene Kind wird in diesem Moment überlebenswichtig, es wird als eine
Art Partnerersatz betrachtet, als Halt, als einziger noch
kontrollierbarer Bestandteil des Lebens. Jeder Kontakt des Kindes zum
anderen Elternteil ist mit Verlustängsten verbunden. Der Umgang wird
deshalb erschwert oder abgesagt. Dem Kind wird durch diverse verbale und
nonverbale Entfremdungsstrategien ein negatives Bild des anderen
Elternteils vermittelt. Damit wird ein intensiver Loyalitätskonflikt
gefördert, dessen Zweck ist, das Kind stärker an den betreuenden
Elternteil zu binden, um es als Trostpflaster gegen die eigene
Unsicherheit und die Verlustängste zu instrumentalisieren. Es kommt auch
durchaus vor, dass sich auch weitere Personen aus diesem Umfeld - zum
Beispiel die Großeltern des Kindes - aktiv an der Manipulation
beteiligen. Dies passiert zum einen aus "Solidarität" der eigenen
Tochter oder dem eigenen Sohn gegenüber, zum anderen jedoch häufig, um
von den vergangenen oder aktuellen Misständen innerhalb der
Herkunftsfamilie abzulenken. Das manipulierte Kind wird auch von den
Großeltern oder anderen Familienmitgliedern instrumentalisiert, um die
Konfrontation mit der eigenen Problematik zu vermeiden.
Das
PAS-fördernde Verhalten der manipulierenden Elternteile verstärkt sich
in vielen Fällen dann, wenn der andere Elternteil eine neue
(glückliche!) Beziehung eingeht oder gar heiratet. Die Verstärkung der
Manipulation manifestiert sich dabei häufig unabhängig davon, ob der
manipulierende Elternteil selbst in einer (neuen oder bereits
vorhandenen) Beziehung/Ehe lebt. Oft fühlen sich diese Elternteile auch
in ihren Beziehungen oder Familienkostellationen einsam bzw. allein
gelassen und sehen keine Möglichkeiten oder Auswege, ihr Verhalten zu
ändern.
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"Weil du mir gehörst" (2020) FFP New Media GmbH im Auftrag des SWR für Das Erste
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